Erfahrungsberichte von Mentor/-innen
Erfahrungsbericht über meine Tätigkeit als Mentorin
Von Mentorin Yasemin (Mentorin WS1819 – WS2021)
Ich durfte als Mentorin knapp zwei Jahre lang meinen Mentee Yaman während seiner beruflichen Ausbildung begleiten. Er, ein Auszubildender zur Fachkraft für Metalltech-nik und ich, eine Berufspädagogin mit Fachrichtung Metalltechnik. Im Laufe unserer Zusammenarbeit stellte sich heraus, dass wir noch mehr Gemeinsamkeiten hatten als auf den ersten Blick gedacht.
Wie alles begann
Als ich das erste Mal vom Mentoring-Projekt „WEICHENSTELLUNG für Ausbildung und Beruf“ gehört habe, wusste ich sofort, dass ich ein Teil davon werden wollte. Mo-tiviert hat mich dabei meine eigene Migrationsgeschichte – als Kind einer türkischen Gastarbeiterfamilie in Deutschland auf die Welt gekommen – im Alter von sechs Jah-ren in die Türkei ausgewandert – und mit neun Jahren wieder zurück nach Deutsch-land gekommen. Deshalb war ich mir sicher, dass ich das für die Zusammenarbeit nötige Maß an Empathie mitbringen würde und habe mich noch in derselben Woche beworben.
Nachdem ich die Zusage für die Stelle erhalten habe, ging alles sehr schnell. Es war mir von Anfang an klar, dass ich meinen Mentee als Freund gewinnen wollte. Gleich-zeitig wollte ich das Mentoring so lehrreich wie möglich gestalten. Ich hatte das Glück, dass Yaman aktiv in der Gestaltung unserer wöchentlichen Treffen mitwirkte und somit wahres Interesse am Förderprogramm zeigte. Das erleichterte mir die Vorbereitung auf das Mentoring und motivierte mich, ihn bestmöglich zu unterstützen.
Zudem sensibilisierten uns MentorInnen die Inhalte der Begleitseminare für einen an-gemessenen Umgang mit den Jugendlichen. Dabei half mir die Austauschrunde mit anderen Mentorinnen und Mentoren sehr, um mögliche Probleme frühzeitig zu erken-nen. Hier konnte ich sehen, wie andere mit schwierigen Situationen umgehen und die Empfehlungen unseres Projektleiters, Florian Kirchhöfer, in meinem eigenen Mento-ring-Tandem anwenden.
Inhalte der Mentoring-Sitzungen
In unseren Mentoring-Treffen wurden größtenteils fachliche Inhalte behandelt. Mein Mentee hat in technischen Fächern wenig Unterstützung gebraucht und angefordert, weshalb wir uns hauptsächlich mit den Fächern Sozialkunde und Deutsch beschäftig-ten. Da auch ich Deutsch im Alter von zehn Jahren als Zweitsprache gelernt hatte, waren mir die Herausforderungen, mit denen Lernende mit besonderem sprachlichen Förderbedarf in der Schule sowie im Alltag begegnen, bekannt. Gerade deshalb strebte ich ein vertrautes Verhältnis an. Die Überlegung dahinter war, dem Auszubil-denden bei der Überwindung seiner Sprechhemmung zu helfen und dadurch seinen sprachlichen Förderbedarf zu erkennen. Es war auch im Interesse des Mentees, seine Sprachkenntnisse auszubauen. Dies war sein größtes Ziel, das er in die Zielvereinba-rung im Rahmen des Mentorings wiederholt aufnahm. Seine Arbeitsblätter waren meist mit arabischen Notizen versehen und wurden in den Mentoring-Sitzungen nach und nach ergänzt. Zudem nutzte er seine Freizeit, um beispielsweise deutsche Bücher zu
lesen oder die eigens erstellte Verbliste mit Präpositionalergänzungen durchzustudie-ren. Es steckte also sehr viel Eigeninitiative hinter dem Erfolg des Mentees.
Kultureller Austausch
In manchen Mentoring-Treffen fand ein gegenseitiger, kultureller Austausch statt. Da-bei lernte ich meinen Mentee durch seine Erzählungen über die syrische Kultur und sein Leben in Damaskus näher kennen. Ich erkannte, dass wir in ähnlichen Kulturen groß geworden waren. Dabei spielte neben meinem türkischen Migrationshintergrund, die Tatsache, dass ich einen Teil meiner Kindheit in der Türkei verbracht und somit die Landeskultur vor Ort erlebt hatte, eine große Rolle. Deshalb konnte ich mir die Erzäh-lungen bildlich vorstellen und den Mentee in Sprechnotsituationen meist mit zutreffen-den Vorschlägen unterstützen. Dadurch entstanden jedes Mal lebhafte Unterhaltun-gen, die mich inspirierten.
Es kam nicht selten vor, dass mich das Mentoring zur Selbstreflexion motivierte. Schon allein in der Stunde, in der wir deutsche Sprichwörter gelernt haben, merkte ich, dass auch mir manche Idiome neu waren. So begann ich zu hinterfragen, ob und in welchem Grad ich überhaupt integriert war. Die Spurensuche fing bei meinen Großeltern, die zuerst nach Deutschland gekommen waren, an und reichte bis zur vierten Generation unserer Gastarbeiterfamilie. Dabei stachen mir zunächst die Kontraste der deutschen und türkischen Kultur ins Auge. Schnell wurde mir klar, dass mich beide Kulturen stark geprägt hatten und meine Identität formten. Ich merkte, dass ich den deutschen Teil in mir allein durch die Beschäftigung mit Wissenschaft und Bildung entwickeln konnte. Wichtige Player, wie Freunde und Freundinnen, Lehrpersonen aus Schule und Univer-sität sowie Persönlichkeiten aus der Wissenschaft, spielten dabei eine große Rolle. Jedoch erkannte ich, dass mir die deutsche Kultur nicht in der Familie vorgelebt wurde und mich diese Tatsache zum ersten Mal störte. Es wurde mir klar, dass Integration kein einseitiger Prozess ist und Außenstehende mit verantwortlich sind, wie und ob sich die Neudazugekommenen in die hiesige Gesellschaft einfügen.
Deshalb wollte ich meinem Mentee eine offene Kommunikationskultur vorleben. Denn erfahrungsgemäß stellt dies den größten Kollisionspunkt beider Kulturen. Während Deutsche vor allem für ihre Direktheit bekannt sind, wird im Nahen Osten eher indirekt kommuniziert. Dies lässt einen großen Interpretationsspielraum zu und erschwert die Arbeit von Teams.
Jedes Ende ist ein Neuanfang
Obwohl wir uns während der Corona-Zeit nicht regelmäßig treffen konnten, teilte mir Yaman dennoch die wichtigsten Ereignisse aus Beruf und Schule mit. Er schaffte einen guten Schnitt in der Abschlussprüfung und durfte in seinem Ausbildungsbetrieb für weitere sechs Monate als Fachkraft arbeiten. Für ihn war das Mentoring-Programm eine große Unterstützung, worüber er sich ausdrücklich äußerte und bedankte. Da wir als Tandem unsere Aufgabe vollendet hatten, waren wir beide der Meinung, dass wir
das Mentoring vorzeitig beenden möchten und sind somit das erste Team, das die Ziellinie erreicht hat.
Rückblickend kann ich aus meiner Sicht sagen, dass mich das Mentoring in vieler Hin-sicht bereichert hat. Ich konnte einen tiefen Einblick in das Leben eines geflüchteten Jugendlichen bekommen und feststellen, dass uns mehr vereint als trennt. Da ich die Zielgruppe davor nur aus negativen Schlagzeilen gekannt habe, hatten sich in meinem Unterbewusstsein Vorurteile eingenistet, die mein Mentee nach und nach ausgeräumt hat. Deshalb habe ich oft darüber nachgedacht, dass Missverständnisse und Vorurteile gegenüber anderen Kulturen allein durch die Kontaktvermeidung entstehen und dass das Unbekannte Angst verursacht, die nur durch ein Kennenlernen überwunden wer-den kann. In diesem Sinne bin ich sehr froh darüber, ein Teil der WEICHENSTEL-LUNG gewesen zu sein und möchte großes Lob an den Projektleiter, Florian Kirchhö-fer, für seine Geduld und tatkräftige Unterstützung während des Mentorings ausspre-chen.